Schauspieler | Regisseur | Sprecher
Hier eine weitere Kritik von unserer Indien-Premiere
Am Ende sind es die kleinen Dinge, die zählen
Bad Vilbel. Indien ist der Inbegriff der unerfüllten Wünsche. Zumindest für Restauranttester Kurt Fellner, der mit seinem Kollegen durch die Gasthöfe zieht, um Punkte und Empfehlungen zu vergeben. Wie viel Glanz und Elend hinter dem Leben der Tester Heinz Bösel (Thomas Kornack) und Kurt Fellner (Joachim Wachholz) steckt, sahen die Besucher des Stückes »Indien« von Josef Hader und Alfred Dörfer in der Alten Mühle. Mit dabei auch Heinz Harth als Gastwirt, Arzt und Pfarrer.
Kurt Fellner (Jens Wachholz, l.) und Heinz Bösel (Thomas Kornack) sind zwei ziemlich schräge Vögel. Fellner bringt seinen Kolleg
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Kurt Fellner (Jens Wachholz, l.) und Heinz Bösel (Thomas Kornack) sind zwei ziemlich schräge Vögel. Fellner bringt seinen Kollegen oft zur Weißglut. (Foto: Sommer/pv)
Die drei Schauspieler machen aus einem Festival der Belanglosigkeiten großes Theater und reizen das Publikum zu begeistertem Applaus, Pfiffen und Zurufen. Denn Bösel findet auch das kleinste Haar in der Suppe und schreibt penibel die Zeiten auf, die die Zubereitung der Speisen braucht. »Fünfzig Minuten für ein Schnitzel.« Da hilft auch der Hinweis des geduldigen Wirts, dass gut Ding eben Weile habe, nicht viel. Seine effizient durchgeplante Einsamkeit teilt er mit seinem Kollegen, dem Sicherheitsexperten Fellner. Wenn er nicht sein Weltwissen unter die Leute bringt, prüft er die Gebäude und Räumlichkeiten auf Herz und Nieren. »Haben Sie schon an Brandschutztüren bei Toiletten gedacht?« fragt er den Wirt.
Es braucht nicht viel, die trostlose Reise der beiden Tester durch die Provinz zu illustrieren. Tisch, Stühle, Teller und das Warnschild vor dem frisch gewischten Boden.
Sie sind sehr verschieden, doch Fellner und Bösel arrangieren sich. Diese – man möchte fast sagen geborenen – Stinkstiefel werden beruflich ein Paar. Witzig, leicht überheblich, philosophisch, bisweilen auch machohaft verbringen sie, die sich anfangs genervt anschweigen, viel Zeit miteinander.
Was zunächst trotz witziger Sprüche und tiefschürfender Bemerkungen eher belanglos vor sich hinzudümpeln scheint, nimmt durch Fellners plötzlichen Krankenhausaufenthalt wegen schwerer Krankheit Fahrt auf. Es entsteht ein gruppendynamischer Prozess im Kleinformat. Aus den listenführenden Korinthenkackern werden aus der Not heraus mitfühlende Menschen. Und aus einer rein beruflichen Beziehung durch das Unheil treusorgende Freunde.
Ein Rührstück der besonderen Art entwickelt sich. Das verliert auch dann, wenn es ans Eingemachte geht, nie seinen unbeugsamen Witz. Die Fragen schwirren durch die Köpfe: Was ist der Tod? Was bedeutet er, und wie stehen wir Freunde durch ihn zueinander? »Kann ich etwas für dich tun?«, fragt Bösel. »Nein, es ist nicht so ernst«, sagt Fellner. Dabei steht das titelgebende »Indien« für all das, was man im Leben eigentlich noch erreichen oder erleben will. Für Fellner ist das nicht mehr wichtig, Bösel hat vielleicht noch die Chance dazu.
In einem Sprichwort heißt es: »Wenn der Deutsche sagt, die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos, meint der Österreicher, die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.« Diese Art Humor vertritt dieses Stück, dem man von Anfang bis zum Ende anmerkt, dass es von zwei hervorragenden Kabarettisten geschrieben wurde. Und der Produktion merkt man an, dass die Akteure und das Personal der Mühle viel Herzblut in die Inszenierung gesteckt haben.
Es ist ein weitgehend unaufgeregtes Stück von Freundschaft, Solidarität und menschlicher Größe. Und ein Drama, das man möglichst nicht verpassen sollte. Am heutigen Samstagabend wird »Indien« um 20 Uhr erneut in der Alten Mühle gezeigt.
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